Interview mit Ulrike Michl – erste grüne Gemeinderätin im Ort (Teil 1)

Am 01.03.2020 kam es zu einem Gespräch zwischen den Gemeinderatskandidierenden Ulrike Michl und Janine Schneider. Es ging u.a. um die die erste Gemeinderatskandidatur 1990, wie sich Politik im Ort seitdem entwickelt hat und welche Erwartungen beide heute an den neuen Gemeinderat haben. Das Interview wurde moderiert vom Ortssprecher Dominik Dommer.

Dominik Dommer (DD): Am 01.03.1990 hattet ihr damals die Vorstellung der Kandidierenden für den Gemeinderat. Ihr hattet damals schon ein Programm ausgearbeitet. Kannst du kurz erzählen, wie es zu diesem Programm gekommen ist?

Ulrike Michel (UM): Das war eigentlich ganz spannend. Das ging damals vom Roland aus, dass wir in Höhenkirchen-Siegertsbrunn unbedingt die Grünen etablieren wollten. Wir hatten schon diverse Vortreffen, u.a. auch mal auf einer Berghütte, wir haben das also sehr gesellig gestaltet, aber wir haben auch hart gearbeitet. Im Sinne von: worum geht es uns, was wollen wir, was ist wichtig im Ort. Wir haben uns zusammengesetzt und jeder hat sich sein Thema rausgesucht, man sieht ja das das Programm schon thematisch gestaltet war. Es waren damals noch etwas andere Probleme, zum Teil haben sie sich inzwischen aufgelöst, zum Teil welche die noch bestehen oder wieder neu aktuell sind. Das wurde dann ausformuliert und so entstand das Programm.

DD: Wie war damals dein Eindruck, wie ist es bei den Bürgern und Bürgerinnen angekommen, dass sich plötzlich die Grünen auch für den Gemeinderat aufstellen?

UM: Wie waren damals, glaube ich, sehr überzeugt von uns und überzeugt davon, dass wir irgendwo Fuß fassen werden. Wir waren fast alle junge Leute und einige mit Kindern, also mit ähnlichen Problemen wie Kindergarten, Straßen, Radfahren… das waren damals auch schon Themen. Und wenn man in das damalige Programm schaut, kann man schon unter der Überschrift „Ohne Auto mobil“ lesen: „Drastische Verkehrsberuhigung und Tempo 30 im gesamten Ort“ und ich bin echt überrascht, dass wir 30 Jahre später die gleiche Forderung haben. Das hat mich im Nachhinein auch etwas verwundert, wie krass wir damals eigentlich drauf waren. Das hat natürlich nicht überall Anklang gefunden, aber wir hatten auch unsere Sympathisanten. Das war damals auch ein Jahr des großen Umbruches. Der Reitmeier hatte aufgehört und der Rudi Mailer ist als Bürgermeister angetreten. Und man hat gemerkt, da kommt jetzt wirklich eine Veränderung… eigentlich so wie jetzt! Die Situation ist eigentlich ein bisschen vergleichbar zu heute.
Damals 1990 sind auch die Unabhängigen Bürger zum ersten Mal angetreten. Das hatte uns sehr geholfen, weil dadurch einfach Bewegung in die Parteienlandschaft gekommen ist und es dann auch mit ihnen eine gute Zusammenarbeit im Gemeinderat wurde.

DD: Wie kann man sich den Wahlkampf 1990 denn vorstellen? Gab es ähnliche Mittel wie heute?

UM: Plakate haben wir aus der Geschäftsstelle in München geholt, das waren aber keine persönlichen für Höhenkirchen-Siegertsbrunn. Eher rein so Mottos wie „Atomkraft, nein danke“ und natürlich die Sonnenblume. An Info-Stände kann ich mich nicht erinnern.
Also bei der 2. Wahl dann schon, da sind wir dann schon größer eingestiegen und da hat sich dann auch erst der Ortsverband gegründet, also 6 Jahre nach der ersten Wahl 1996. Damals kamen Sepp Daxenberger und Susanne Tausendfreund vorbei.
Lange Zeit war ja Roland das einzige grüne Mitglied im Ort. Auch ich war ganz lange nur Sympathisantin. Die Sachthemen waren damals wichtiger als die Mitgliedschaft zu einer Partei. Nur die CSU war schon immer der Gegenpol.

DD: Ihr wart damals 8 Kandidierende. Wie habt ihr euch eigentlich gefunden?

UM: Wir haben echt gesucht und rumgefragt. Wir mussten damals ja auch noch die Unterstützerliste zusammenbringen. Roland und ich kannten uns, er wohnte auch hier im Viertel. Und die Evi hat hier im Haus gewohnt. Wenn man darüber spricht, dann findet man immer Personen die mitmachen wollen. Peter war eher ein Quereinsteiger, der das mitgekriegt hat und der plötzlich da war. Wir haben unheimlich viele Leute über die Zwerglstube und das elterliche Zusammensein gekannt. Die Evi hat dann noch die jungen Leute mitgebracht. Eigentlich so wie jetzt mit unserer jungen Carlotta.

DD: Janine, du bist ein junges Mitglied und nun etwa 2 Jahre bei den Grünen und kandidierst für den Gemeinderat. Wie sind deine ersten Erfahrungen und wie hast du bislang den Wahlkampf erlebt?

Janine Schneider (JS): Ich habe lange viel über meinen Mann mitbekommen, sozusagen als angehängtes Mitglied ohne Mitgliedsausweis. Für mich war irgendwann klar, dass reicht mir eben nicht mehr. Es hatte sich ja auch die politische Landschaft verschlechtert. Für mich war klar, man kann nicht nur schimpfen, man muss auch machen. Und es war naheliegend hier vor Ort aktiv zu werden. Ich sehe auch– wie 1990 – gerade die anstehende Veränderung im Ort und an dieser Chance möchte ich mitarbeiten.
Der Wahlkampf ist so anstrengend, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Aber er bringt auch viel positives, wie zum Beispiel die Gespräche die man mit den Bürgern und Bürgerinnen führen kann, durchaus auch mit positiver Rückmeldung. Motivierend finde ich auch, dass die Grünen gerade einen großen Aufwind haben und wir viele neue Mitglieder bekommen haben. Es tut gut, wenn die Gruppe Gleichgesinnter wächst.

DD: Uli, du bist dann in den Gemeinderat gewählt worden. Eigentlich warst du ja auf der Liste auf Platz 2.

UM: Ich kann mich nicht mehr ans genaue Ergebnis erinnern. Aber ja, ich muss den Roland überholt haben, welcher ursprünglich auf Platz 1 stand. Zum einen war das für mich ein Schreck, weil ich war damals alleinerziehende Mutter mit 3 Kindern. Das war wirklich nicht easy von der Zeiteinteilung. Das kann ich mir noch heute manchmal von meinen Kindern anhören. Eigentlich hätte ich es dem Roland gegönnt, weil er hat damals den Stein ins Rollen gebracht. Ich hatte nicht unbedingt die politische Ambition auf Platz 1 zu kommen. Aber gut, gewählt ist gewählt.

DD: Wir haben aktuell 3 Grüne Gemeinderäte. Janine, was denkst du wird sich nach der Wahl ändern?

JS: Ich wünsche mir ja eine Verdoppelung, da muss ich jetzt wirklich so hoch greifen. Aber natürlich ist es schwer dazu Prognosen abzugeben. Auch bei den 4 Kandidierenden zur Bürgermeisterwahl. Ich würde mir wünschen, dass wir und die SPD stärker werden. Auch das wir das Monopol der CSU etwas weggraben. Und ich bin stolz, dass wir einen grünen Bürgermeisterkandidaten mit Karsten Voges haben. Ich hoffe, wir werden mehr gestalten können. Ich bin mir fast sicher, dass der neue Gemeinderat gemischter und jünger sein wird.

DD: Uli, 30 Jahre später kandidierst du wieder für den Gemeinderat. Zusammen mit deinem Mann Franz. Wie kam es dazu?

UM: Zum einen stehe ich noch hinter den Zielen der Grünen und zum anderen gibt es immer noch viel zu verwirklichen. Und ich wünsche mir genau wie du, Janine, sechs Grüne Gemeinderäte. Ich wünsche mir auch, dass von den Erfahrenen jemand drinne bleibt. Aus meiner Ersterfahrung 1990 kann ich sagen, dass es als Neuling im Gemeinderat erstmal Hardcore ist. Der Zeitaufwand scheint in den letzten Jahren ja noch gestiegen zu sein und man muss ja immer am Ball bleiben. Alle Achtung für alle die reinkommen, die haben viel viel Arbeit vor sich.

DD: Du und dein Mann treten beide mit dem Thema Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft an. Auch im Programm von 1990 findet man die Überschrift „Existenzfähige Bauern für ein lebendiges Dorf“. Was müsste dazu aus eurer Sicht umgesetzt werden?

UM: Ja, das haben wir leider damals nicht so ganz geschafft. Ich glaube, es gibt nur noch einen oder zwei aktive Bauern mit Kühen…

Franz Michl (FM): In meiner Jugendzeit haben wir noch mindestens 10 Milchbauern gehabt. Die meisten Bauern sind jetzt schon im Nebenerwerb, nur noch 1-2 machen das im Haupterwerb. Mir liegt einfach an dem, dass man diese bäuerliche Landwirtschaft erhält. So gut es geht. Wir können ja jetzt nicht von oben herab alle zu Bio-Landwirten machen. Ich habe erlebt, es gibt fruchtbaren Austausch, jeder lernt vom anderen und in diese Richtung wollen wir eigentlich weitermachen. Ich bin ja einer der wenigen aus der indigenen Bevölkerung, der auf der grünen Liste ist. Und ich möchte die Erfahrungen aus der Geschichte Höhenkirchen-Siegertsbrunn mit einbringen.

UM: Also ich denke, man muss offensiv auf die neu zuziehenden bzw. bereits zugezogenen Leute zugehen und ihnen erklären, was das so ist was da so sich um die Häuser herum befindet. Sie ziehen hier her, weil ihnen der Wald und die Felder wie eine grüne Lunge gegenüber der Großstadt erscheint. Sie haben aber häufig kein Verständnis dafür, was sich so auf dem Acker tut. Wenn der grün ist, sagen sie: „Das ist eine Wiese“. Aber sie haben nicht den Gedanken dahinter, dass es Viehfutter ist. Die landwirtschaftlichen Flächen werden eher als großer Spielplatz gesehen. Die Zahl der Hunde ist inzwischen um ein vielfaches höher als die der Kühe, die hier im Ort leben. Da wird bei den Spaziergängen auch manchmal quer über den Acker gelaufen.

FM: Ich sehe es so, dass die Leute die hierher ziehen entfremdet sind von der Landwirtschaft. Früher hat man von Kind an mitbekommen, was die Bauern so machen. Die Leute die jetzt hier ziehen hatten vermutlich nicht mal Großeltern mit einer Landwirtschaft. Man müsste ihnen also zeigen, was die Bauern so machen und für was sie stehen.

JS: Bei der Grundschule beim Stürzer-Feld stand auch mal in einem Sommer das Schild „Ich bin dein Brot.“, weil die Schüler da immer durchrennen. Das hatte mir gefallen. Oder auch die Leute die Selfies im Feld machen, weil man im Kornfeld so hübsch aussieht. Das ist doch unser Essen, man läuft doch nicht durchs Essen. Ich verstehe das einfach nicht.

UM: In einem Zeitungsartikel aus 1996 steht, dass wir nicht wollten das Höhenkirchen-Siegertsbrunn eine Schlafstadt wird. Das alle in der Stadt arbeiten und hier im Ort wohnen. Wir hatten damals schon viel zu wenig Gewerbe um die finanziellen Dinge zu stemmen, die eine Gemeinde leisten muss. Wir haben gesagt, dass Gewerbe muss vor Ort sein. Dann wird auch alles belebter und man vermeidet den ganzen Pendelverkehr. Ein Ort in dem man arbeitet und wohnt, mit dem fühlt man sich auch ganz anders verbunden.

DD: Janine, wenn du in den Gemeinderat gewählt werden würdest: welche Ziele hast du dir gesetzt, was möchtest du erreichen?

JS: Ein ganz großer Punkt ist, immer noch oder schon wieder, das Thema Mobilität. Wie lösen wir diese Katastrophe an der Bahnhofstraße. Also sowohl, wie kommen wir von der S-Bahn über die Straße, als auch wie die Menschen über die Schienen in die beiden Ortsteile kommen. Das wäre mir wichtig, da mal konsequent darüber nachzudenken und auch Planer mit ins Boot zu holen. Wir sollten mal Experten durchrechnen lassen, was es kosten würde und ein Konzept entwickeln. Was mir auch noch ganz wichtig ist, ist auch die Kommunikation in der Gemeinde selbst, also sowohl im Rathaus als auch nach draußen. Als Nicht-Gemeinderatsmitglied bekomme ich nur was mit, wenn ich mich engagiere und einsetze. Vielleicht wenn ich weiß, wo ich auf der Webseite graben muss oder wenn ich jemand kenne, der im Gemeinderat ist. In der Zeitung steht ja meist nur das Ergebnis und die Diskussion davor bekommt man nicht mit. Inzwischen kann man online die Tagesordnungspunkte finden, aber immer noch nicht die Protokolle.
Wenn man sieht das die Programme der Parteien im Wahlkampf alle recht ähnlich sind, dann kann man ja hoffen, dass sich in den nächsten 6 Jahren häufiger Mehrheiten für diese Themen finden werden. Da müssen wir alle ein Ziel haben, fraktionsübergreifend und gemeinsam für den Bürger und die Bürgerin entscheiden und den Ort lebenswert erhalten bzw. lebenswerter machen. Ich bin da tatsächlich guter Hoffnung.

DD: Beim Thema Mobilität fällt auf, dass schon im Programm von  1990 „Tempo-30“ und „durchgängige Fahrradwege an alle Hauptstrassen“ zu finden ist. Wart ihr damals einfach zu früh dran mit dem Thema oder ist die Politik zu langsam?

UM: Ich würde schon sagen, dass Politik einfach zu langsam ist. Und damals, also 30 Jahre zurück, war das ja beileibe nicht der Autoverkehr den wir heute haben. Damals hatten die Familien auch nur ein Auto, nicht zwei. Die Mobilität hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Zum Beispiel müssen viele Mütter bzw. Väter heute ihre Kinder mit dem Auto in den Kindergarten bringen und dann direkt weiter in die Arbeit, weil sie dort mit der S-Bahn nicht hinkommen. Deshalb ist es auch immer wichtig mit den Leuten im Gespräch zu bleiben und zu erfahren, warum sie so handeln. Und auch gemeinsam zu fragen, kann man es vielleicht auch anders machen.

 

 

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